Eben diese Aufgabe, eine nachhaltige Kunststoff-Produktentwicklung, wollen die Hochschule Aalen und die Ellwanger Innovationsberatung zusammen angehen und in diesem Sommer noch ein bundesweites Innovationsnetzwerk namens „MaBiPro – Marktfähige Biokunststoffe und Produkte“ auf den Weg bringen. Dafür führen sie geeignete Partner aus Industrie und Wissenschaft zusammen und beantragen eine Bundesförderung.
Mit eindrücklichen Worten machte Joachim Hannebaum, Inhaber des gleichnamigen Ingenieurbüros in Aalen und Mitinitiator des Netzwerkes, bei dem Vortreffen mit Vertretern interessierter Firmen auf die Dringlichkeit einer drastischen CO2-Reduktion, insbesondere auch in der Kunststoffindustrie, aufmerksam. Seinen Ausführungen stellte er aktuelle Zahlen und Fakten voran: „Wir produzieren weltweit zu viel Plastik. Gehen wir im Schnitt von einem jährlichen Wachstum von 4 Prozent aus, würde sich die produzierte Kunststoffmenge alle 17,5 Jahre verdoppeln und 2050 eine Größenordnung von weltweit 1,6 Milliarden Tonnen erreichen.“
Von anderen dramatischen Problemen wie der Verschmutzung der Weltmeere und der Umwelt an Land einmal abgesehen, würden bei der Herstellung und Verbrennung dieser Menge kumuliert bis 2050 rund 56 Gigatonnen CO2 freigesetzt. Doch um das weltweit vereinbarte Klimaziel einer Erderwärmung von maximal 1,5 Grad (Kelvin) zu erreichen, steht laut jüngstem IPCC-Report vom August 2021 bis 2050 nur noch ein Restbudget von rund 300 Gigatonnen CO2-Emissionen zur Verfügung, wenn das 1,5-Grad-Ziel mit 87% Wahrscheinlichkeit erreicht werden soll. Bei 63% Wahrscheinlichkeit seien es 400 Gigatonnen. Zum Vergleich: Allein 2019 lag der globale reine CO2-Ausstoß bei 36 Gigatonnen. Hannebaums Resümee: „Wir müssen viel stärker in der Produktentstehungsphase ansetzen – die Verwendung recyclingfähiger Materialien allein reicht nicht als nachhaltige Produktentwicklung. Dinge müssen wieder reparierbar, aufrüstbar und wiederverwendbar gemacht werden.“
In weiteren Referaten stellten nachfolgend EurA-Netzwerkmanagerin Marie Wasiak sowie die Professoren Dr. Tobias Walcher, Dr. Fabian Ferrano und Dr.-Ing. Iman Taha vom Fachbereich Kunststofftechnik der Hochschule Aalen den anwesenden Firmenvertretern das angedachte Netzwerkkonzept vor.
Motivation und Zielsetzung: Biokunststoffe groß rausbringen
Kunststoff hat ein schlechtes Image und belastet die Umwelt, Rückstände in Form von Mikroplastik sind mittlerweile überall auf der Welt zu finden und werden zumeist nicht auf natürlichem Wege abgebaut, oder sie zersetzen sich nur langsam.
Andererseits sind Kunststoffe für die verschiedensten Anwendungen inzwischen unverzichtbar, beispielsweise für Leichtbauanwendungen, und können auch Werkstoffe wie Holz und Metall sinnvoll ersetzen und ergänzen.
Ziel des Technologienetzwerkes, an dem sich kleine wie große Unternehmen sowie weitere Forschungseinrichtungen beteiligen können, ist es, Kunststoffe und ihre Anwendung umweltfreundlicher, nachhaltiger und wirtschaftlicher zu machen – als Teil einer „Plastik(müll)reduktionsstrategie“. Das Anwendungsspektrum von Recyclaten und Bio-Kunststoffen, egal ob biobasiert und/oder biologisch abbaubar, soll deutlich vielfältiger und preislich attraktiver werden.
Dafür, so Professor Walcher, müsse bereits in der Produktentwicklung der gesamte Lebenszyklus im Fokus stehen – für Kreislaufwirtschaft, Umweltverträglichkeit und Nachhaltigkeit (siehe Grafik). „Alle Materialentwicklungen und Produktionsverfahren sollen dann auf diese angezielten Produkte und deren Weiterverwendung hin ausgerichtet sein.“ Doch die Steigerung der Akzeptanz von Bio-Kunststoffen und Recyclaten gelinge nur, „wenn sichergestellt werden kann, dass die Materialien, Prozesse und Herstellverfahren reproduzierbar und standardisierbar werden. Denn die technischen Eigenschaften von solchen neuen Materialien sind bisher oft unzureichend bekannt.“
Innovative Schwerpunkte des Netzwerkes sollen sein:
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– Kennwerte zur Charakterisierung der Eigenschaften definieren und standardisieren
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– Neue Materialien (bio- und recycelte Kunststoffe) und deren Produktionsverfahren weiter- entwickeln und sie verlässlich, reproduzierbar und damit marktfähiger machen
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– damit Simulation, Künstliche Intelligenz, Fertigungsversuche und (Inline-) Qualitätskontrolle verknüpfen
Konkrete Projektideen sind bereits in Planung:
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– Im Wald verrottbare Baumwuchshüllen aus hochgefüllten und mit Naturfasern verstärkten, geschäumten Biokunststoffen als Substitut für nicht verrottbare Kunststoff-Wuchshüllen
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– Recyclebare Mehrwegverpackungen aus biobasiertem Kunststoff als Transportschutz für Großgeräte oder den Umlauf von Bauteilen in der Automobilindustrie.
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– Hitzebeständiges und schlagfestes Schweißschutzschild aus biobasiertem Kunststoff
Zur Umsetzung von Kooperationsvorhaben zwischen der Hochschule und Industriepartnern sollen Fördermittel aus Mitteln des neuen Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz, nukleare Sicherheit und Verbraucherschutz (BMUV) beantragt werden, ebenso für die Netzwerkkoordination.
Wie Netzwerkmanagerin Marie Wasiak ausführte, richtet sich das neue Innovationsnetzwerk vor allem an Spritzgießer, Kunststoffverarbeiter, Werkzeugbauer, Kunststoffproduzenten, Servicedienstleister und Forschungseinrichtungen. „Diese Technologiebereiche sollen dazu beitragen, interdisziplinäre Lösungen durch die Kopplung von Kompetenzen im Bereich Messsysteme, Werkstoff- und Materialentwicklung, Maschinen- und Anlagentechnik zu entwickeln. Weitere Innovative Ideen und Forschungsthemen sowie zusätzliche Netzwerkpartner sind uns gerne willkommen.”
Vielversprechende Vermarktungschancen
Der Kunststoffmarkt ist stark preisgetrieben, Kunststoffteile sind zumeist Massenware und Hersteller konkurrieren über den Preis. Gleichzeitig steigt wegen der Müllprobleme in letzter Zeit der gesellschaftliche und politische Druck auf Plastik. Die jährliche weltweite Produktion von konventionellen Kunststoffen im Jahr 2018 betrug 335 Mio. Tonnen, dem gegenüber steht eine weltweite Produktion von Bio-Kunststoffen von bislang nur 2,1 Mio. Tonnen, dies entspricht nur 0,6 % und verdeutlicht das enorme Ausbaupotenzial für Bio-Kunststoffe. Weiteres Potenzial bietet die geplante Erhöhung der Recyclingquote für Plastik von 46,4 % auf mehr als 60% in Deutschland, dadurch werden deutlich mehr recyclingfähige Kunststoffe benötigt.
Außerdem könnte der Markt für Bio-Kunststoffe durch politische Rahmenbedingungen (Verbot bestimmter Produkte, starker Anstieg der CO2-Abgaben) überproportional wachsen. Dies schafft neue Märkte für die im Netzwerk zu entwickelnden Materialien und Verfahren. Ziel ist es, den Anteil der Bio-Kunststoffe und Recyclate durch gesteigerte Akzeptanz (aufgrund verbesserter Eigenschaften) massiv zu erhöhen, das Materialverhalten besser voraussagen zu können und eine signifikante Verringerung der Herstellungskosten durch die Herstellung von Serienteilen mit hoher Stückzahl zu erreichen.
Zunächst sollen Märkte mit hohen Stückzahlen und geringen technischen Anforderungen an die Materialeigenschaften adressiert werden, um die Entwicklungen zu amortisieren und Herstellungspreise zu verringern.
Bio-Kunststoffe sind besonders interessant im Verpackungsbereich, wo sehr viel Plastik kurzfristig verwendet wird. Von der Gesamtverbrauchsmenge an Kunststoff in Deutschland haben Verpackungen mit 30,7% den größten Anteil. Adressierbare Märkte sind im ersten Schritt Transport-Verpackungen für Großbauteile (Kühlschränke, Geschirrspüler, Autoteile) aus Bio-Kunststoffen, modular aufgebaut (für mehrere Bauteile entwickelt und einsetzbar), als Mehrwegsystem und mit hohem Anteil von Recyclingmaterial.
Besonders in Kombination mit Schäumen und biobasierten Fasern können auch Dämmtechnik, Isolierung und Schallschutz interessante Marktchancen öffnen.
Ein weiterer Zielmarkt ist die Landwirtschaft und Forstwirtschaft, für welche vollständig biologisch abbaubare Kunststoffe besonders interessant sind, da die verwendeten Folien oder andere Kunststoffteile wie Wuchshüllen oder Pflanztöpfe nur mühsam wieder eingesammelt werden können.
Als weitere Massenmärkte zum Einstieg kommen der Sport- und Freizeitbereich sowie die Kosmetikindustrie infrage (beispielsweise Dosen und Stifte aus biobasierten Materialien).
Erst in einem späteren Schritt, nach umfangreicheren Erfahrungen mit den neuen Materialien und ihren Einsatzbereichen, könnte sodann die Entwicklung von Präzisionsbauteilen aus Recycling-Kunststoffen oder Bio-Kunststoffen für hochtechnische Bereichen wie der Automobilindustrie folgen, da auch hier der Druck von Politik und Gesellschaft hin zu „grünen“ Produkten zunehmend steigt.
Denken in Rohstoffkreisläufen
Prof. Dr. Tobias Dr. Walcher, seit 2014 Dekan des Studiengangs Kunststofftechnik in der Fakultät Maschinenbau und Werkstofftechnik der Hochschule Aalen:
„Die Kunststofftechnik sollte in Zukunft in Rohstoffkreisläufen denken. Unser lineares Denken in der Produktentwicklung von der Wiege zur Bahre muss geändert werden. Produkte müssen Rohstoffe für neue Produkte werden. Unser Planet hat genügend Energie, die von der Sonne geliefert wird. Allerdings ist die Materialbasis begrenzt. Kompostierbare Biopolymere sollten in einer Biosphäre zirkulieren und neue Nährstoffe für Pflanzen werden. Kunststoffe aus fossiler Basis sollten in einer Technosphäre in einem separaten Kreislauf zirkulieren und Rohstoffe für neue fossile Produkte sein. Polymere Werkstoffe sind zu wertvoll, um sie nach Gebrauch zu deponieren oder zu verbrennen.“
Alle Akteure einbinden
Als Ideengeberin maßgeblich an der Netzwerkkonzeption beteiligt ist Prof. Dr.-Ing. Iman Taha, die im September 2021 neu an die Hochschule Aalen gekommen ist und dort die Professur für Nachhaltige Werkstoffe in der Kunststofftechnik innehat. Ihre Botschaft: „Nachhaltigkeit in der Kunststofftechnik ist eine Herausforderung, die keiner alleine meistern kann. Es bedarf radikaler Lösungen seitens der Forschung und Mut zur Umsetzung in der Industrie. Die Politik schafft bereits heute den gesetzlichen Rahmen. Jedoch ist bei allem die gesellschaftliche Akzeptanz für diese Ansätze von immenser Bedeutung. Hier sieht sich die Kunststofftechnik der Hochschule Aalen in der Verantwortung mit innovativer Forschung beizusteuern, den wissenschaftlichen Nachwuchs für eine Zukunft mit nachhaltigen Kunststoffen zu fördern und durch Öffentlichkeitsarbeit die Gesellschaft für einen bewussten Umgang mit dem wertvollen Werkstoff zu sensibilisieren.“
Die EurA AG mit ihrem Hauptsitz in Ellwangen betreibt seit 1999 Unternehmensberatung in den Bereichen Innovation und Technologietransfer. Zudem ist sie führende Netzwerkmanagementgesellschaft in Deutschland. Zu den Kunden der EurA AG zählen überwiegend kleine und mittelständische Unternehmen aus nahezu allen Bundesländern und allen Branchen. Mit knapp 200 Mitarbeitern an den Standorten Ellwangen, Aachen, Zella-Mehlis und Erfurt, Hamburg und Oldenburg, Enge-Sande, Kiel, Pfarrkirchen, Porto (Portugal), Brüssel (Belgien) sowie Berlin berät die EurA AG mehr als 2000 Industriekunden, vorwiegend in Deutschland, aber auch im europäischen Ausland.
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