„Wir haben in den Jahren 2015 bis 2018 die Fertigung der Gestelle für die Bogenoffsetmaschinen praktisch komplett runderneuert“, berichtet Jürgen Wiegand, von Koenig & Bauer Industrial in Würzburg. „Mit neuen Maschinen, Automatisierung und intelligenter Werkstückspanntechnik haben wir die Fertigungszeiten drastisch gesenkt, die Produktivität erheblich verbessert und so Kompetenz und Arbeitsplätze in Würzburg gehalten“, freut sich der Vorarbeiter der Großteilfertigung beim ältesten Druckmaschinenhersteller der Welt. „Wir sind nun nicht nur schneller, sondern auch viel flexibler“, ergänzt der verantwortliche Programmierer Klaus Künzig. Neben den DMG-Maschinen trägt vor allem die Spanntechnik der Andreas Maier GmbH & Co. KG aus Fellbach (AMF) zu Schnelligkeit und Flexibilität bei. Die Experten für Spanntechnik haben unter anderem sechs Paletten an zwei Bearbeitungszentren mit Aufspannplatten ausgerüstet. Was erst mal alltäglich und unspektakulär klingt ist im Detail höchst anspruchsvoll. Dazu steigen wir etwas tiefer ein.
Bei Präzision wäre ein Bruchteil Haaresbreite viel zu ungenau
Wie oft ist die Druckmaschinenindustrie schon um Haaresbreite am Absturz vorbeigeschrammt? Und immer wieder behauptet sie sich. Denn Print lebt. Schließlich müssen nicht nur Geld und Wertpapiere gedruckt werden, sondern auch Verpackungen – und nicht zuletzt auch Fachzeitschriften und die vielen Werbebotschaften, die wir täglich aus unserem Briefkasten holen. Für all dies braucht es Bogenoffsetmaschinen, im besten Fall von Koenig & Bauer – mit über 200 Jahren Erfahrung eine der ersten Anlaufstellen weltweit. Und auch wenn wir manche gedruckte Botschaft achtlos zur Seite legen, so ist deren Herstellung dennoch ein Wunderwerk der Technik. Der Druckmaschinenbau gilt allgemein als Königsdisziplin und obendrein als Paradedisziplin des deutschen Maschinenbaus – immer noch. Trotz Internet und Digitalisierung.
„Für das, was wir mechanisch fertigen, wäre Haaresbreite viel zu dick“, versichert Wiegand. Für die Herstellung der Herzstücke, der Boxen, wie die Gestelle intern heißen, die die Druckzylinder, Walzen und Trommeln sowie die Antriebe für die Farbwerke, die Lackwerke, Wendetrommeln oder sonstige Zusatzmodule wie beispielsweise für Prägungen aufnehmen, gelten Toleranzen von nur zehn Mikrometer (10 µm). Unsere Haare sind sieben Mal dicker. Komplette Gestelle oder deren Seitenteile aus Grauguss GG25 der eigenen Gießerei erfordern eine Maßhaltigkeit und Passgenauigkeit bei Parallelität und Bohrbildern, die man sich bei solchen Großteilen nicht vorstellen kann. Denn die Anschlussflächen müssen exakt passen. Nur so bringen später die Druckzylinder für die vier Grundfarben, etliche Sonderfarben und Lacke passgenau das gewünscht Druckbild hervor.
Die Großteilefertigung wird in Würzburg konzentriert
Als 2015 die Großteilefertigung von Radebeul und aus Österreich bei der neu gegründeten Koenig & Bauer Industrial in Würzburg zusammengezogen wird, kommt auch eine DMC 210 aus Österreich an den Main – und AMF ins Spiel. Für das hauptzeitparallele Rüsten auf insgesamt drei Paletten fertigen die Fellbacher Spannexperten modulare Spannvorrichtungen und greifen bei den hydraulischen Spannelementen und der Nullpunktspanntechnik auf Ihr umfangreiches Standardportfolio zurück. Weil die Maschine über keine eigene Spannhydraulik verfügt, steuert AMF auch das Hydraulikaggregat aus dem umfangreichen Produktportfolio bei.
Die AMF-Lösungen haben die Verantwortlichen bei Koenig & Bauer schnell überzeugt, so dass weitere Maschinen und Bearbeitungsstationen umgestellt werden. „Wir haben mit diesen Spann- und Vorrichtungslösungen die Maschine schnell an die Leistungs- und Kapazitätsgrenze gebracht, so dass wir inzwischen mit einer neuen Maschine planen“, resümiert Wiegand das erste Projekt der Zusammenarbeit. „Dieses erste Projekt ist sicherlich auch unter dem Aspekt des gegenseitigen Kennenlernens zu sehen“, bestätigt Erik Laubengeiger Verkaufsleiter Inland von AMF. „Und da wir hier überzeugt haben, folgten weitere Projekte.“
Erfolgreiches Erstprojekt fördert gegenseitiges Vertrauen
So ist eine DMC 340 U der Portalbaureihe inklusive 5-fach-Plattenwechsler mit rüstzeitminimierenden Spannlösungen von AMF ausgestattet. Das umfasst flexible Aufspannvorrichtungen für vier Varianten von Bauteilen, die paarweise aufgespannt und bearbeitet werden. „Das sind die Seitenwände für die Auslage, die am Ende jeder Maschine beziehungsweise des Druckvorgangs die Papierbögen aufstapeln“, erklärt Wiegand.
Für die Fixierung der Gussteile in der ersten und zweiten Aufspannung sorgt eine Kombination aus hydraulischen Niederzugspannern, und anschwimmenden Unterstützungselementen damit eine perfekte Ebenheit der Teile gewährleistet werden kann. Nun wird die Gusshaut entfernt, die Kontur vorgefräst, werden Bohrungen und Gewinde eingebracht. „Darunter sind auch die Bohrungen für die Nullpunktspannbolzen, die für die dritte Aufspannung, die Werkstück-Direktspannung, benötigt werden“, so Laubengeiger. Nach Freigabe der Bauteile vor dem Wenden entspannen sich die bearbeiteten Gussteile. Um 180° gewendet, nehmen jetzt die Nullpunktspannmodule die eingeschraubten Spannbolzen auf und fixieren die Bauteile direkt, verzugsfrei und rundum zugänglich für eine Fünfseitenbearbeitung. Um die Kapazitäten des Plattenwechslers zu erweitern und die Flexibilität zu maximieren befinden sich auf Maschinenpaletten AMF-Nullpunktspannstationen, die einen schnellen und präzisen Vorrichtungswechsel ermöglichen.
Mit Rüst- und Aufspannplänen Komplexität reduzieren
Der Clou ist jedoch die Flexibilität der Aufspannvorrichtungen. Auf einer Grundplatte sind zwei verschiebbare Aufbauplatten montiert. Hydraulische Abstützelemente, die nur abgesteckt sind, können einfach versetzt werden. So können die Vorrichtungen nicht nur zwei paarweise zusammengehörige Seitenteile aufnehmen, die sich nach dem Wenden fünfseitig bearbeiten lassen. Es können auch alle vier Varianten der Bauteile in den jeweiligen Bearbeitungszuständen aufgespannt werden. Damit die Werker bei dieser unvorstellbaren Komplexität noch den Überblick behalten, sind die für das jeweilige Bauteil passenden Positionen farbig codiert. „Das schafft uns die notwendige Sicherheit und sorgt für Schnelligkeit beim hauptzeitparallelen Vorrüsten“, versichert Wiegand. Dazu gibt es für jedes Bauteil sowohl einen Aufspannplan als auch einen Rüstplan, die an der Maschine zur Verfügung stehen.
Weil sich vor allem die Nullpunktspanntechnik von AMF mit ihrer enormen Zeiteinsparung bestens bewährt, sind nachgelagerte Prozesse wie beispielsweise das manuelle Entgraten ebenso mit Nullpunktspannmodulen ausgestattet. Ein entsprechend bestückter Scherenhubtisch nimmt die Bauteile schnell und sicher in Direktspannung auf und ermöglicht ergonomisches Arbeiten. In Summe haben intelligente Spannlösungen von AMF erheblich zur wirtschaftlichen Herstellung der großen Gestellteile beigetragen und die Präzision unterstützt.
Klimawandel im Finishing-Bereich
Derart bearbeitete Bauteile gelangen schließlich zum Finishing in einen klimatisierten Bereich. Dort passen sie sich über 24 Stunden an die konstanten 22° Celsius an, bevor sie auf einer hochpräzisen Dixi 270 U endbearbeitet und auf einer Zeiss Portalmessmaschine vermessen werden. „Jedes Teil, hundertprozentig“, betont Wiegand. Danach geht es ab zur Montage nach Radebeul. Mit Mut und Beharrlichkeit haben die Verantwortlichen bei Koenig & Bauer Industrial gezeigt, dass sich Innovation und Disziplin gemeinsam mit intelligenter Spanntechnik lohnen können. So bleiben Knowhow, Kompetenz und Arbeitsplätze in Würzburg.
Marktführer beim Spannen auf dem Maschinentisch
Das 1890 als Schlossfabrik Andreas Maier Fellbach (AMF) gegründete Unternehmen gehört heute weltweit zu den Marktführern rund ums Spannen, Schrauben und Schließen. Mit mehr als 5.000 Produkten sowie zahlrei-chen Patenten gehören die Schwaben zu den Innovativsten ihrer Branche. Durch weltweite Marktpräsenz haben die Mitarbeiter stets ein Ohr für die Probleme der Kunden. Daraus entwickelt AMF mit kompetenter Beratung, intelligenter Ingenieurleistung und höchster Fertigungsqualität immer wieder Standard- und Speziallösungen, die sich am Markt durchsetzen. Erfolgsgaranten sind bei der Andreas Maier GmbH & Co. KG Schnelligkeit, Kundennähe und über 240 gut qualifizierte Mitarbeiter. 2020 erzielte AMF knapp 40 Mio. Euro Umsatz.
((Firmeninfo Koenig & Bauer Industrial AG + Co. KG))
Passergenaue Präzision als Selbstverständlichkeit
2015 gegründet, ist Koenig & Bauer Industrial ein selbstständiges Fertigungsunternehmen unter dem Dach der Koenig & Bauer Gruppe, deren Ursprung sich bis 1814 zurückverfolgen lässt. Das Unternehmen fertigt Produkte für andere Töchter in der Konzerngruppe. Darüber hinaus bedient es auch namhafte externe Auftraggeber aus Europa. In der bestens ausgestatteten Fertigung entstehen unter anderem die Gestelle und Seitenteile für die Bogenoffsetmaschinen Rapida, die in Radebeul endmontiert werden. Die hochpräzisen Bauteile werden in Würzburg zum Teil in klimatisierten Räumen aufs Maß genau bearbeitet. Kurze Entscheidungswege sorgen für schnelle Reaktionszeiten.
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